July 24, 2011
July 14, 2011
HfG-KA Sommerloch 2011 -- Seminar 'Hören und Schreiben'
Labels: Hfg-Karlsruhe, Sommerloch 2011
July 08, 2011
Steve Reich Eröffnet Sonar Festival 2011
Für Electronica-Genießer ist es endlich so weit – das Eröffnungskonzert des Sonár-Festivals im großen Saal Pau Casals in Barcelonas Auditori. Electronica im vornehmen Konzertsaal? Auch solche Koproduktionen gehören seit einigen Jahren zum Festival-Konzept. Einige edle Tropfen der Minimal Music, sogar der große Musikpionier Steve Reich selbst, stehen auf dem Programm des Eröffnungskonzerts. Bis er vor zwei Wochen krankheitshalber absagen musste. Trotzdem fängt das Festival mit den beiden Werken Sextet (1984) und Music for 18 Musicians (1974-76) wie geplant am Donnerstagabend mit dem Ensemble bcn216 und den britischen Spitzenstimmen der Synergy Vocals an.
Vorne auf der holzgetäfelten Bühne die typischen Instrumente, die ein Steve-Reich-Konzert erkennen lassen: Vibrafone, Marimbas, Flügel und Synthesizers mit Musikern im alten Neue-Musik-Schwarz-Look. Die Zuschauer sind eine schöne Mischung. Die gepflegte katalanische Dame im feinen Rock und Stöckelschuhen sitzt neben dem jungen Asiaten mit giftgelben Joggingschuhen. Der bebrillte Journalist im grauen Jackett in der gleichen Reihe mit der jungen Bloggerin mit Laptop. Auch Familien sind da. Wenn nicht ausverkauft, trotzdem ein offener, würdiger Rahmen für das Eröffnungskonzert. Nur zu schade, dass der Meister selbst nicht da ist. Vielleicht würde die Musik dann anders klingen.
Mit ein wenig mediterraner Verspätung brechen die ersten Durakkorde vom Sextet die erwartungsvolle Stille im Saal und sofort merkt man, das die Holztäfelung nicht nur für die Augen schön ist, sie ergibt auch eine ausgewogene Akustik. Wir hören hämmernde Klänge, die erste Phase und Phase-Shift – alles vertraute Schlüsselmotive von Reichs Musik. Aber die kleinen Loops scheinen nicht so scharf und gestochen wie sonst. Um in den sechziger Jahren aus den starren Regeln der seriellen Musik und der wenig flexiblen Tape Music auszubrechen brauchte es nicht nur Einfallsreichtum, sondern auch einen starken Willen, um den neuen Stil durchzusetzen. Und eben das hörte man in Steve Reich and Musicians damals. Hier auf dem Sónar spielt die männliche Besetzung des 216bcn mit weichen Anschlägen, unscharfen Übergängen – die Bildung einer neuen sanften mediterranen Interpretationsschule? Im Kontrast dazu bringen die vier Sängerinnen der Synergy Vocals in Music for 18 Musicians eine phänomenale Präzision zur Aufführung. Wie Synchronspringerinnen bewegen sie langsam ihre Mikros zum Mund und wieder zurück, alle vier in genau dem gleichen Augenblick, um das Lauter- und Leiserwerden hervorzuheben. So gewinnt der Klangteppich an räumlich-akustischer Plastizität, freilich immer noch ohne schneidende Kluften. Aber was sollen solche kleinen Nörgeleien. Schließlich spielen die Berliner Philharmoniker Debussy ganz anders als das Orchestre de Paris. Wer spielt dabei ‚richtig’?
Dennoch, je länger man dieser Musik lauscht, desto mehr Assoziationen kommen hoch. (War da nicht die Rede von einer neuen Nostalgie bei Sonar 2011…?) Man denkt an ein New York, bevor Bürgermeister Giuliani seine Straßen für Touristen sicher gemacht hatte, bevor er die Qualität des urban life verbesserte, als selbst für Amerikaner wie mich aus Los Angeles eine Reise nach New York Überfallängste heraufbeschwor. Da musste eine neuartige Musik ihre Existenz nicht nur ästhetisch begründen, sie musste sich mit einem kraftvollen aber nicht verbissenen Überlebensantrieb durchsetzen – drive – was Reich mit seiner Musik gelang.
Eine berauschende Mondfinsternis, laue Brisen, weiche Wellen plätschern am Strand von Barceloneta mit seinen After-Hours Clubs – Reichs abrupte Harmoniewechsel und drängelnde Rhythmen scheinen hier fehl am Platz. Die harten Anschläge und stechenden Rhythmen die anno 1974 den Zuhörer vom Sessel rissen gehören zu einer anderen Zeit. Ein Konzertbesucher meint, das klingt wie langsamer Techno, gespielt auf akustischen Instrumenten. Aber wer nur das hört, verpasst einen wesentlichen Schritt in der Musikgeschichte.
Wiederholung, Abwechselung, Reprise – das sind altbewährte Rezepte fast aller Gattungen der abendländischen Musikgeschichte. Aus dem alten Rezept etwas Neues zu schaffen? Das konnte wahrlich nicht jeder. Und als Steve Reich und die anderen Minimal Komponisten in den siebziger Jahren sich von den Fesseln der sogenannten ‚akademischen’ Musik frei schüttelten, sahen Kinder der Zeit, wie ich, ein Fenster in eine neue Epoche aufgehen. Eine Landschaft mit endlosem Potential für crossover, fusion, Mischung von E- und U-Musik, Spannung und Meditation. Heute gehört die Minimal Music zum musikalischen Kanon und wird an Hochschulen unterrichtet – ob nun mit oder ohne mediterranem Akzent.
Junge Weine sind ruppig und kantig. Mit den Jahren werden sie geschmeidig. Das sind die Guten. Kein schlechter Start für das Sónar Festival 2011.
Sónar 2011 fand vom 16. bis 18. Juni in Barcelona statt. www.sonar.es. Ein kleiner Ausschnitt dieses Artikels erschien in Zeit-Online am 17.6.2011.
Labels: sonar 2011, steve reich